Baerbock oder Habeck?

Wer von beiden kann denn nun Kanzler? Wirklich beide? Oder am Ende keiner? Es hat sich doch alles so warm und gemütlich angefühlt, als die Grünen bei ihrer Gründung ihre Werte festgelegt hatten. Als man sich sicher war, dass Frauen und Männer gleich sind und gleiche Rechte haben sollten. Sicher, das stimmt auch. Aber es war ziemlich naiv zu glauben, dass in dieser ungeübten Art miteinander umzugehen nicht auch eine gewisse Eigendynamik steckt, die am Ende verhängnisvoll für einen selbst sein kann.

 

Natürlich war es überaus progressiv zu glauben, dass mit einer Doppelspitze, die immer aus beiden Geschlechtern besteht, der Gerechtigkeit genüge getan ist. Aber wie bei vielen "Guten Ideen" ist es auch hier so, dass man sie nicht bis zum Ende durchdenken konnte, auch wenn man damals davon überzeugt war, dass das doch alles so einfach ist. Genau mit diesem Spirit muss wohl auch Robert Habeck in die Partei eingetreten sein, und seine, auf dem Land von Schlesweig Holstein gelebten Ideale mit bis in die Parteispitze getragen haben. Nur leider fliegt ihm genau dies aktuell voll um die Ohren.

 

Auch wenn die Grünen uns jahrzehntelang versucht haben vorzuspielen wie gleich sich Mann und Frau doch sind – und vor allem wie respektvoll man miteinander umgehen kann – genauso offenbar wird aktuell, dass es in Wahrheit nicht so gemütlich ist, wie wir alle gedacht hatten. Nachdem monatelang die Medien Bilder von Habeck auf den Titelseiten gezeigt, und ihn zum "Grünen Kanzler" gekührt hatten, war keinem bewusst, was da wohl in der lieben Annalena so alles vor sich hin gären muss. Einer Frau, die seit ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden sich immer als gleichstarken Partner zu Habeck verstanden hat. Doch bei der Kanzlerfrage wurde sie plötzlich von allen total übergangen. Sie wurde nicht mal als mögliche Kanzlerkandidatin gehandelt. Die Wahl fiel in der öffentlichen Wahrnehmung, nahezu reflexartig, auf Habeck. Wer aber so naiv war zu glauben, dass eine starke Frau wie Annalena Baerbock ihrem Kollegen einfach so das Feld überlassen würde, der möge sich bitte nochmal schlau machen und nachlesen was sie in den letzten Wochen so von sich gegeben hat. Diese Frau ist sehr intelligent, und ihr sind bestimmt ein paar Dinge bewusst, die Habeck in seinem feministischen Nebel jahrelang entgangen sind und ihm jetzt auf die Füße fallen. Und das lähmt ihn in mehrerlei Hinsicht. Wer sich die Statements von Baerbock über Habeck anhört, welche sie seit ihrer Aussage "Ich traue mir das Kanzleramt auch zu" von sich gegeben hat, erkennt deutlich, dass ihr bewusst ist, dass sie sich über Habeck so hart und verächtlich äußern kann wie sie will – ohne, dass er sich in gleichem Maße dagegen wehren kann. Sie sagt über ihn sinngemäß, dass er ein Experte im Kühe-melken und Hühner-füttern wäre und sie selbst eine Absolventin der London School of Economics sei. Damit definiert sie ihn über seine Lebenssituation – welche völlig ehrenhaft und legitim ist – aber klammert seine Bildungshistorie komplett aus, während sie ihre eigene Qualifikation in den Vordergrund stellt. Das Dillemma von Habeck ist, dass er den Spieß nicht einfach knallhart umdrehen kann; denn er ist nicht Mitglied der CDU, CSU oder FDP. Nein, er ist ein Grüner. Ein Feminist, ein Frauenversteher, einer der für Frauenrechte kämpft. Einer der Frauen nicht im Weg steht sondern ihnen den Weg ebnet. Und wenn er nun plötzlich seine Kollegin hart anginge, dann würde die geschlossene politische Riege ihn zum Heuchler erklären. Man würde ihm nachreden, dass dieses ganze "Frau und Mann sind gleich Geschwätz" für ihn anscheinend nur solange Bestand hatte, bis eine Frau zur Kontrahentin wurde und dann nach allen Regeln der Kunst bekämpft werden musste. Ein Dilemma in dem übrigens nicht nur Habeck steckt, sondern jedes Parteimitglied, dass ihn gerne als Kanzlerkandidaten sehen würde. Baerbock hingegen weiß, dass dies der erste Wahlkampf sein wird in dem die Grünen nach dem Kanzleramt greifen, und die Partei sich schwer beschädigen würde, wenn man ohne mit der Wimper zu zucken einen Mann nominieren würde. Sollte Habeck noch eine Chance auf die Kanzlerkandidatur haben wollen, bräuchte er verdammt gute Berater mit einem stimmigen Konzept, welches genau vorgibt wie weit er gehen kann oder darf. Ein Kampf mit zu harten Bandagen, könnte ihm zwar tatsächlich den Vorzug sichern, aber unter dem Strich den USP der Grünen, im Auge des Wählers, vernichten. Das würde er mit Sicherheit nicht risikieren, nachdem der Markenkern der Grünen, mit der Lossagung diverser Umweltschutzorganisationen, bereits im Sommer 2020 schwer Schaden genommen hatte. Was für eine Ironie: Da hat Habeck seit Jahren ein Loch gegraben ohne zu merken, dass es sein politisches Grab ist. Baerbock muss ihn nur noch reinschubsen. Für Frauen gekämpft, von einer Frau vernichtet.

 

Obwohl die SPD diese vorgespielte grüne Eintracht, nach der desaströsen Posse um Andrea Nahles, kopieren wollte – um der Partei einen progressiven Anstrich zu geben – scheint den beiden roten Führungsköpfen dieses Dillemma in dem die Grünen aktuell stecken, viel schneller bewusst geworden zu sein. Und um diese Problematik zu umschiffen, hat man sich als Kanzlerkandidaten einen Dritten gesucht, um nicht nach so kurzer Zeit zu offenbaren, dass die Doppelspitze vielleicht doch keine perfekte Lösung ist. Aber davon wieder Abstand zu nehmen wäre auch keine Option gewesen, denn der Schaden wäre zu groß, wenn die SPD nun wieder mit nur einem Vorsitzenden durch den Nebel müsste. Doch im Gegensatz zu den Grünen haben die Köpfe in der SPD mehr Erfahrung mit dem Regierungsgeschäft und erkennen, dass solche Personalentscheidungen, die Parteispitze zwar tief im Poliker-Ego treffen, aber notwendig sind. Soweit ist man bei den Grünen aber noch lange nicht. Zu verlockend ist der Geruch der Macht, welcher Baerbock und Habeck, wegen der phänomenalen Umfragewerte von 2019, in die Nase gestiegen ist. Aber reflexartig wieder eine Frau zur Kanzlerin zu machen, nur weil dieses Modell zuvor 16 Jahre lang funktioniert hat, ist ein gefährliches Spiel. Besonders wenn die Kandidatin nicht wie ein politisches Schwergewicht daher kommt, sondern den Eindruck macht, als würde sie nach der Wahl jeden Morgen, mit dem Schulranzen auf dem Rücken, von Mami ins Kanzleramt gebracht werden. Ich denke, dass selbst die Grünen-Wähler noch nicht soweit sind; geschweige denn ganz Deutschland. Darüberhinaus, wird sich Baerbock auch nie sicher sein können, ob sie nicht doch nur Zweite Wahl war, und Habeck besser und beliebter gewesen wäre als sie; Und sie doch nur die Frauenkarte ausgespielt hat.

 

Somit haben die Grünen zwei ganz schwache Kandidaten die alles andere als souverän ins Rennen gehen. So können wir uns erstmal zurücklehnen und zusehen, wie die Grünen die in 2019 gewonnen Symphatien im Wahkampf verheizen und die Partei am Ende mit ihren tatsächlichen Ergebnissen konfrontiert wird. Es bleibt spannend.

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