Deutschland, deine Impfstrategie!

In den Zeiten in denen wir uns am Stammtisch keinen echten Problemen widmen mussten, saßen wir alle immer gerne als Gruppe von Hobby-Bundestrainern zusammen. Wir wussten besser als Jogi Löw welcher Spieler im Strum spielen sollte; wir kannten unsere Gegner vom Fernseher her ganz genau und überhaupt würden wir mit dieser Schlendrian-Mannschaft mal ganz andere Saiten aufziehen. Mann, waren wir da schon kompetent.

 

Mit diesem jahrelangen Stammtisch-Training gehen wir aktuell nahtlos in unsere Zweit- und Drittjobs als Hobby Virologen und Hobby-Gesundheitsminister über. Auch hier wissen wir aus der Ferne viel viel besser was zu tun ist, als die Leute die wirklich am Steuer sitzen. Natürlich dresche ich hier auch gerne auf so manchen ein – aktuell am liebsten auf König Markus den I. – aber ich zwinge mich doch immer wieder zu einer differenzierten Sicht auf die Dinge. Und gerade bei der Impfstrategie sehe ich akut sehr viel Potential draufzudreschen ohne vorher drei Sekunden nachgedacht zu haben. Natürlich wäre es leicht mich dem Tenor anzuschließen und die Impfstrategie, wie die Opposition und andere Berufsnörgler, einfach in allem zu kritisieren. Was wird da nicht alles gesagt; die Regierung hat zu wenig Impstoff bestellt. Die Regierung hat den falschen Impstoff bestellt. Die Regierung hätte das im Alleingang ohne die EU machen müssen. Die Regierung hätte das innerhalb der EU produzieren lassen müssen. Die EU hätte sich mit Pfizer nicht von den USA abhängig machen dürfen. Und der neuste Streich der Kritiker: Spahn hätte schon vor der Zulassung 10 Milliarden an Biontech und Pfizer geben sollen um im Vorfeld die Produktion zu sichern. Ich gebe zu, vieles davon habe ich auch erst gedacht, aber in der Tat nicht bis zum Ende durchdacht!

 

Was der Bürger, und z. B. auch Der Bund der Steuerzahler, immer gerne bemühen ist, wie der Staat unser Geld mit vollen Händen aus dem Fenster schmeisst. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist das Maut-Disaster. Hier gab es im Vorfeld viele Debatten auf nationaler und EU-Ebene. Die einen fanden es gerechtfertig, andere wiederum fanden es gegen die EU-Richtlinien. Auch ich war immer ein Befürworter der Maut. Wir als Deutsche zahlen nahezu überall Maut aber das gesamte Ausland leiert unsere Autobahnen rücksichtslos aus – für umme! Das war aber nicht der Knackpunkt. Der Knackpunkt war, dass sich das Thema gezogen hat wie Rotz und als Andreas Scheuer dieses Projekt von einem glanzlosen Alexander Dobrint geerbt hatte, wollte er das Ganze vermutlich etwas effizienter und schneller in Gang bringen als das bis Dato passiert war. Ergo, er hat Dinge beauftragt bevor essentielle Entscheidungen getroffen waren um Prozesse parallel in Gang zu bringen. Das Geld dafür war auch bereits geflossen, um dann nahtlos loszulegen wenn alle Hürden beseitigt wären. Im Prinzip ein nicht komplett dummer Plan, aber leider ein sehr riskanter. Denn, wenn sich die Hürden nicht aus der Welt schaffen ließen, dann wäre unter Umständen ein Großteil des Geldes futsch und der Minister müsste sich vor einem Untersuchungsausschuss für seine Entscheidungen rechtfertigen. Genau so ist es dann auch gekommen.

 

Aber ich schreibe hier aber nicht über die Maut sondern über die Impfstrategie der Regierung. Und das gleiche Szenario hätte, so wie bei der Maut, auch bei der Bestellung der Impfdosen passieren können. Natürlich haben wir bei der Pandemie nicht alle Zeit der Welt. Besser heute alle Bürger impfen als morgen. Aber hätte der Staat vorab 10 Milliarden in einen Impfstoff gesteckt von dem damals keiner wissen konnte ob er je zugelassen würde, dann hätte es todsicher im Vorfeld die Stimmen der Bedenkenträger gegeben, die Jens Spahns Strategie als viel zu riskant eingestuft hätten. Denn noch im Sommer haben Kekulé, Drosten und Streeck immer wieder betont, dass es nicht gesichert ist, dass es einen Impfstoff geben wird. Es bestand eine große Chance, dass keiner der entwickelten Impfstoffe wirken würde, oder ob sie so starke Nebenwirkungen hätten, dass keiner eine Zulassung bekommen würde. Genau so hatten wir das schon bei HIV erlebt. Hätte das Gesundheitsministerium also trotzdem die 10 Miliarden Euro in die Hand genommen, und Biontech/Pfizer damit vorab den Auftrag gegeben in die Produktion zu gehen, hätte man speziell dem CDU-Mann Spahn vorgeworfen der Pharma-Industrie Geld in den Hals geworfen zu haben – so kenne man das von der CDU ja schon von der Auto-Industrie. Im Falle einer Ablehnung der Zulassung durch die EMA hätte es unmittelbar einen Untersuchungsausschuss gegeben. Und auf diesen hätten exakt die gleichen Korinthenkacker bestanden, die Spahn jetzt unbedingt Versagen bei der Bestellung vorwerfen wollen. Aber das Gesundheitsministerium hat es nicht so grundlegend falsch gemacht wie uns diese Leute glauben machen möchten. Spahn hat auf jeden Fall mit unserem Geld nicht Coropoly im großen Stile gespielt!

 

Das Argument Deutschland habe zu wenige Dosen bestellt kann man auch nur auf den ersten Blick gelten lassen. Man kann von der Nationalmanschaft auch immer fordern mehr Tore zu schiessen. Aber warum das eben nicht geht, will keiner beleuchten. Sicherlich wurde im Vorfeld von der Pharma-Industrie eine gewisse Schätzung abgegeben, wieviele Dosen in welchem Zeitraum realistisch sind. Und die Regierung hatte auch auf dem Schirm welche Player im Spiel sind. Es wurden schließlich auch Gespräche mit Moderna und Astra-Zeneca geführt. Auch hier wurde sicherlich eine Prognose bzgl. der möglichen Produktionsmengen abgefragt. Und umsichtigerweise wurden auch Dosen bei allen Herstellern bestellt. Aber es wird der Regierung eben auch nachgesagt, dass speziell für Deutschland zu wenige Dosen bestellt wurden und man dies besser nicht über die EU abgewickelt hätte. Mir ist schon klar, dass die Zulassung über die EU länger gedauert hat, als über das Paul-Ehrlich-Institut. Für viele Menschen zu lange. Auch meine Geduld wurde dabei strapaziert. Aber wenn man den Blick nur einen kurzen Moment in die jüngere Geschichte der EU richtet, wird einem klar, dass eine gemeinsame Strategie über die EU alternativlos war. Unser Diktat an die Griechen während der Finanzkrise 2008 war zwar richtig, aber hat uns in der EU den Ruf eingebracht, dass wir uns als die Erste-Klasse-Nation verstehen die den kleineren Ländern aufdiktiert wie sie sich zu verhalten haben. Unsere Motive und der positive Effekt werden dabei ausser Acht gelassen. In 2015, als Kanzlerin Merkel die Flüchtlinge aus dem Bahnhof von Budapest geholt, und sich mit dem Spruch "Wir schaffen das" zu Mama-Merkel gemacht hat, war das erneut ein deutscher Alleingang. Auch hier haben wir wieder extremen Gegenwind aus den anderen EU-Staaten bekommen. Hier haben wir wieder den Eindruck erweckt, dass die EU den Deutschen gehört und alle anderen Staaten bedingungslos folgen müssten. Es hatte sich für alle unübersehbar offenbart, dass die Solidarität in der EU auf dem Sterbebett liegt. Die Staatschefs von Ungarn und Polen wollten sich in diesem Zuge vollends emanzipieren und haben in ihrer Argumentation Deutschland eine gewisse Rücksichtslosigkeit unterstellt. Und irgendwie kann man es ihnen nicht gänzlich verübeln. Das Sahnehäubchen haben wir der europäischen Scheisse-Torte mit dem schier endlosen Brexit aufgesetzt und die EU damit noch weiter beschädigt. Somit war klar, dass die EU dringend einen Heilungsprozess braucht, den die Corona-Pandemie aber aktuell leider nicht zulassen will. Es war also das einzig richtige Signal an die EU, dass alle Zweifler am Zusammenhalt sehen sollen, dass in einer der dunkelsten Stunde der Menschheit, die EU zusammenhält. Ein erneutes Vorpreschen Deutschlands, das sich ohne Rücksicht auf andere ein volles Kontingent an Impfdosen sichert, hätte der EU vermutlich die Existenzgrundlage entzogen. Denn, wenn nicht jetzt, wann dann sollte die Europäische Gemeinschaft sich bewähren? Wenn das jetzt nicht funktioniert hätte, dann wäre es das mit Europa gewesen! Somit war die Entscheidung das europäisch zu lösen, und dafür zu sorgen, dass keiner benachteiligt wird, das absolut richtige Vorgehen! Wenn man dies bedenkt und sich klar macht, dass die Industrie nicht Milliarden von Dosen herbeizaubern kann, muss einem klar sein, dass dieser Impfprozess einfach seine Zeit dauern wird. Dass jetzt nachgebessert wird, in dem man auf weitere Produktionsstätten erweitert, ist keine geniale Idee der Kritiker, und auch kein Armutszeugnis der Regierung, sondern die logische Konsequenz das Produktionspensum jetzt zu steigern, wo wir sicher sind, das die Impfstoffe zugelassen sind. Das war im Nachhinein betrachtet eine umsichtige Abwägung.

 

Was meinen Liebling, Markus Söder, angeht, der stößt mir auch hier sauer auf. Seine Beschlüsse, die auf der umsichtigen Strategie des Bundesgesunheitsministeriums aufsetzen, sind nichts anderes als eine billige Abwandlung um seinem Handeln einen progressiveren und handlungsstärkeren Anstrich zu geben, als dem Rest der Nation. Dass man im Bund gerne auch schneller und effektiver handeln würde, dies aber aus den oben erklärten Umständen nicht möglich ist, blendet er in seinem, von Pressekonferenzen berauschten, Zustand völlig aus. In seinem Handeln ist nichts originelles oder progessives zu erkennen. Der Bund hat die Schraube ja schon relativ fest angezogen. Aber Söder scheint zu glauben "fest ist gut, aber fester ist besser" und dreht die Schraube noch weiter an. Solange bis er sie abreisst. Es bleibt zu hoffen, dass das Land endlich erkennt, dass dies kein souveränes Handeln aus Überzeugung ist, sondern nur Söders Kanzler-Show.

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