Letzter Strohhalm vs. Perspektive

Die aktuelle Strategie der Regierung zur Bewältigung der Corona-Pandemie wirft mehr Fragen auf als sie zu beantworten vermag. Durch die bisher immer weiter verschärften Maßnahmen hat sich die Regierung an einen Scheideweg maneuvriert – anscheinend sogar viel schneller als es ihr lieb ist.

 

Alles hängt unter dem Strich an der Mitwirkung der Bevölkerung. Ohne sie, ist die Politik ein Kopf ohne Körper. Aber eben diese Bevölkerung wurde über Jahrzehnte in unserem demokratischen Vorzeige-Staat zu denkenden, mitfühlenden und freien Bürgern erzogen. All diese modernen und erstrebenswerten Eigenschaften, auf die wir zurecht auch stolz sind, werden der aktuellen Strategie ganz offenbar zum Verhängnis. Denn der Bürger beginnt die beschlossenen Maßnahmen, wie beigebracht, zu hinterfragen. Er war aufgefordert bei der Migrations- und bei der Klimakrise den Blick in die Zukunft richten um sich der langfristigen Folgen bewusst zu werden. Genau das macht er nun "leider" aber auch zu Coronazeiten. Somit richtet er den Blick, in Bezug auf Erfolge der Maßnahmen und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen, in die Zukunft und beginnt abzuwägen. Dem blinden Aktionismus der Regierung geschuldet wurden neue Einschränkungen oftmals schon beschlossen bevor die Auswirkungen der vorigen Maßnahmen ausgewertet oder verifiziert waren. Somit haben die Krisenmanager der Pandemie auf dem Weg zur Herdenimmunität nicht nur strategisches Pulver verschossen, sondern deren wichtigstes Kapital inflationär verpulvert – die Geduld des Bürgers. Und nicht nur, dass diese kräftezehrenden Einschränkungen dem Bürger alles abverlangt haben; mit den Äusserungen von Markus Söder, in denen er die kooperativen Bürger als nicht diszipliniert hinstellte, sind dazu noch demoralisierend und beleidigend.

 

Markus Söder kommt mir vor als säße er bei Günter Jauch auf dem Stuhl und hätte bei der 1000€ Frage bereits drei Joker verbraucht und schwört die Zuschauer trotzdem gerade auf die Million ein. Wer soll ihm das noch abkaufen? Der einzige Joker den Söder offenbar nicht einlösen will, scheint der Publikumsjoker zu sein. Den einzulösen würde ihm nämlich vor Augen führen, dass sein eingeschlagener Kurs der berühmte Holzweg ist. So kann der "Gemeine Bürger" sich an diesem Punkt bereits ausrechnen, dass einem Markus Söder langsam die Optionen ausgehen. Es bleibt fraglich ob er es sich leisten kann, dass die Bevölkerung für sich die Gewissheit bekommt, dass die politische Führung nach dem letzten Strohhalm gegriffen hat, und dieser nicht lang sondern kurz war. Das wäre exakt das politische "Offene Messer" in das ich die Regierung aktuell laufen sehe.

 

Dabei bräuchte die Bevölkerung einfach nur das gegenteilige Signal – nämlich eine Perspektive. Einen Silberstreif am Horizont. Theoretisch hätten wir diese Perspektive sogar. Aber anstatt, dass man der Bevölkerung das Signal sendet "Wir haben die Impfung. Sie funktioniert. Wir müssen jetzt nur noch den Winter überstehen, dann packen wir das", fangen Politiker wie Karl Lauterbach an dieser Stelle jetzt schon an, die Wirkung der Impfung zu relativieren. Es werden Grundrechte mit Privillegien in einen Topf geworfen. Das zieht den ohnehin schon geschundenen Bürgern erneut den Boden unter den Füßen weg. Man fühlt sich langsam wie der Esel, der der Karrotte an der Schnur hinterherläuft. Wie lange dieses Spiel noch gut gehen soll ist mir schleierhaft. Die Bürger haben verdient, dass Politik und Wissenschaft endlich an genau dieser Perspektive feilen, denn ohne eine Aussicht kann der Mensch sich irgendwann zu keiner Maßnahme mehr motivieren. Das wäre ein Generalversagen aller Beteiligten. Dies ließe sich allein schon verhindern, wenn die Politik sich auf realistische Ziele verständigen würde, anstatt utopischem Wunschdenken hinterherzuhecheln, und in diesem Zuge die Nebelkerze der 50/100.000 Einwohner als Ziel auszugeben.

 

Insofern finde ich die Strategie des österreichischen Kanzlers Kurz sehr intelligent. Er schwört seine Landsleute auf letzte schwere Wochen mit einer Aussicht auf einen nomalen Sommer ein. Ich halte diese Strategie auch nicht für ein politisches Maneuver sondern für ein ein realistisches Ziel, wenn man denn den Fokus vom bisherigen Ziel der Null-Ansteckungen auf das urprüngliche Ziel, das medizinische System vor der Überlastung zu schützen, umstellen würde. Angesichts der Tatsache dass der Großteil der Verstorbenen und Intensivpatienten tatsächlich die vulnerablen Gruppen über 80 Jahre, und darunter vermehrt Heimbewohner, sind, sollte ein Durchimpfen dieser Bevölkerungsgruppe, bereits einen signifikaten Effekt bei der Belegung der Intensivstationen und bei den Sterbezahlen bringen. Dass damit zwar der Rest der Bevölkerung noch nicht vor Ansteckung geschützt ist, sollte auch klar sein. Aber da bei den nicht vorerkrankten Bürgern eine Erkrankung, von der Schwere her, wesentlich schwächer verläuft, sollte das bis zum Erreichen der Durchimpfung medizinisch genauso verkraftbar sein, wie die jährliche Grippewelle. Für diese haben wir auch zu keiner Zeit die Wirtschaft auch nur ansatzweise heruntergefahren. Diese Strategie mag vielleicht aus medizinischer Sicht nicht das Optimum darstellen, aber es wäre erreichbar. Deswegen möge unsere politische Elite bitte den Blick kurz auf unser Nachbarland richten und lernen!

 

Der Bürger gibt der Regierung was er kann. Gebt den Bürgern also dafür etwas zurück: eine Perspektive!

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