Alle Menschen sind gleich. Dachte ich...

Ich bin in einem geläuterten Deutschland geboren und aufgewachsen. Die Medien und die Schulen haben mir und meiner Generation beigebracht, dass alle Menschen gleich sind. Behindete, Schwule, Frauen, alle haben die gleichen Rechte. Man macht sich nicht lustig über Dicke oder Brillenträger. Das gehört sich einfach nicht. So habe ich auch stets versucht zu leben.

 

Erstaunlich finde ich allerdings die Entwicklung in unserer Gesellschaft der letzten Jahrzehnte, wo sich diese ganze Equality-Bewegung in eine Art Überkompensieren verkehrt hat. Das fängt bei der Übersensibilisierung unserer Medien und der höher gebildeten Milieus gegenüber Migranten, Frauen und Homosexuellen an und gipfelt aktuell in den Gendersternchen und dem Schutz der vulnerablen Gruppen. Ist das noch Gleichheit oder ist das eher falsch verstandene Gleicheit, die das Ungleichgewicht in die andere Richtung verschiebt? Manche Entscheidungsträger in Politik und Medien scheinen zu glauben, dass Gerechtigkeit herzustellen gleichbedeutend ist, das Ungleichgewicht auf die andere Seite zu verlagern. Aber Ungleichgewicht ist trotzdem Ungleichgewicht.

 

Trotzdem verstehe ich das in gewisser Weise auch: Unsere Zivilisation ist eine Sache mit hoher Zentrifugalkraft. Wenn ich mir unsere Gesellschaft vorstelle wie eine schnell rotierende Scheibe, dann läge die Gerechtigkeit genau im Zentrum. Aktuell stehen viele Dinge in unserer Gesellschaft nicht im Zentrum sondern irgendwo eher Richtung Rand. Die Rotation der Scheibe wirkt wie ein "Verstärker" der eigentlichen Problematik was sich dadurch offenbart, dass das Problem mehr und mehr von der Mitte weg geschleudert wird. Wenn ich mir zum Beispiel die Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau als Glas Wasser vorstelle, dann stand dieses jahrhundertelang nicht im Zentrum. Das heisst, auf das Glas wirkten große Zentrifugalkräfte und versuchten dieses von der Scheibe zu schleudern. Die aktuelle Methode mit dieser Thematik umzugehen, wie z. B. die Frauenquote, Gendersternchen usw. sollen mit aller Gewalt Frauen in Positionen bringen in die sie aktuell, laut Ansicht so machner Moralapostel, sonst nicht vordringen könnten. So will man nun die Situation für die Frauen einfach umkehren und lebt in der Vorstellung damit Gerechtigkeit herzustellen. Das wäre aber lediglich als würde man das Glas auf die andere Seite der Scheibe stellen. Leider wirken da aber die gleichen Kräfte auf das Glas. Der einzige Ort wo das Glas sicher stünde wäre exakt in der Mitte. Und wenn ich sage exakt, dann meine ich nicht nur in-etwa sondern ganz genau in der Mitte. Denn selbst ein bisschen ausserhalb der Mitte wirkt die Zentrifuge auf das Glas und schiebt es, peu a peu, wieder Richtung Rand. Aber genau diese Mitte zu finden – diese Balance herzustellen – ist extrem schwer, wenn nicht sogar unmöglich. Als wollte man ein rohes Ei hochkant hinstellen. Aber viele der Wichtigtuer in Bezug auf Sprachgerechtigkeit, Frauenquoten usw. wollen sich diese Mühe nicht machen. In blindem Aktionismus wird einfach die einfältigste aller Maßnahmen beschlossen, die aber an der Ursache nichts ändern kann. Somit wird das zwar als Gleichheit für Frauen verstanden, ist aber eigentlich eine ungerechte Bevorzugung, die genauso ungerecht ist wie der vorige Zustand. Das will nur leider keiner erkennen. Wird dann aber in allerletzter Instanz, wenn die Befürworter dieser Methode am Ende ihrer Argumentation angelangt sind, mit dem Satz abgetan: "Na dann sind jetzt halt die Frauen am Drücker. Ausgleichende Gerechtigkeit!". Das ist aber keine Form von Gerechtigkeit wie sie in unserem Grundgesetz vorgesehen ist, sondern eher ein "Auge um Auge" wie im alten Testament.

 

In der Pandemie empfinde ich auch nicht, dass alle Menschen gleich sind. Sicherlich ist der Schutz der vulnerablen Gruppen wichtig und vor Allem auch richtig. Aber so wie dieser Schutz aktuell gehandhabt wird, benachteiligt er unzählige weitere Teile unserer Gesellschaft; im Prinzip sogar ungleich mehr Menschen. In den öffentlichen Statements wird die Sache so dargestellt, dass man die Alten und Kranken nicht ihrem Schicksal überlassen will und legt den Fokus mit großem Pathos auf diese Menschen. Grundsätzlich ginge ich da auch voll mit, wenn die Strategie dahinter, nicht stillschweigend dafür einen Großteil der restlichen Bevölkerung massiv ihrem Schicksal überlassen würde. Oder wie möchte man das denn nennen, wenn ein Friseur aktuell seinen Kunden nicht die Haare schneiden darf, und nicht weiß ob nach der Pandemie sein Salon noch existiert? Wenn ein Event-Veranstalter keine Konzerte ausrichten und hunderte von Mitarbeitern beschäftigen darf? Gleiches gilt für Caterer, Ladenbesitzer, Floristen, Gastronomen, Schüler, die nicht wissen wann ihre Grundrechte wieder hergestellt werden. Das Im-Stich-lassen, was man bei den vulnerablen Gruppen versucht zu verhindern, lässt man bei anderen Teilen der Bevölkerung stillschweigend zu. Sie alle sind in dieser Situation dem Schicksal ausgeliefert, denn die Politiker treffen zwar massive Entscheidungen, aber rechtfertigen sich nicht gleichermaßen, sondern schieben die Verantwortung auf die Pandemie. Die Pandemie hat diese unüberlegten Entscheidungen aber nicht getroffen, sondern die Politik. Das ist hochgradig shizophren.

 

Ich möchte hier auch zu Bedenken geben, dass eine Arbeit nicht nur eine emotionslose Methode ist um an Geld zu kommen. Ein Beruf ist auch eine Art von Lebensinhalt der uns inneren Antrieb und Sinn gibt. Man wird in seinem Beruf gebraucht, gefordert und bestätigt. Diesen Teil kann der Staat mit seinen Finanzhilfen nicht leisten. Diese Ausgleichszahlung kann lediglich die finanziellen Nöte etwas auffangen. Aber Lebensinhalt spenden kann sie einfach nicht. Somit sind diese Menschen, zugunsten der vulnerabelsten Mitbürger klar benachteiligt. Auch hier sind also nicht alle Menschen gleich. Das Problem ist hier auch nicht, dass wir die vulnerablen Gruppen schützen, sondern wie schlecht unsere Strategie dafür ist, dies zu tun. Auch hier wurde das Glas lediglich auf die andere Seite der rotierenden Scheibe gestellt, ohne zu erkennen, dass unser Glas dort genauso gefährlich in Bewegung ist wie zuvor. Ich würde jetzt an dieser Stelle gerne formulieren, dass diese Mitte offenbar keiner findet. Aber ich werde es defnitiv nicht so formulieren können, weil ich überzeugt bin, dass man nach dieser Mitte nicht sucht. Unsere politische Führung ist in ihrer Kurzsichtigkeit überzeugt das Glas in die Mitte gestellt zu haben. Aber leider sind wir davon Lichtjahre entfernt. Ich denke so mancher Politiker ist intellektuell auch gar nicht in der Lage das zu überreißen. Es stecken sich Menschen im Stadion oder im Theater nicht per se an weil sie dort waren, sondern weil unsere bisherigen Konzepte hierfür unzureichend sind. Es ist mir persönlich zu einfach zu sagen, in ein Konzert oder auf eine Messe zu gehen, ist aktuell nicht mögich. Es ist mit den aktuellen Hygienemaßnahmen nicht möglich! Es braucht also deutlich bessere Konzepte um dies sicher möglich zu machen, und nicht mehr Einschränkungen.

 

Ich könnte jetzt noch die, von Fridays for Future geforderten, Maßnahmen zum Klimaschutz zitieren, die auch lediglich das Glas auf die gegenüberliegende Seite stellen würden. Gleiches trifft vermutlich auch auf die neue Administration der Vereinigten Staaten zu. Aber ich denke die Metapher mit der rotierenden Scheibe kann jeder für sich auf andere Themen übertragen.

 

Fakt ist: Von der Mitte sind wir in allen fundamentalen Themen unserer Zeit weit entfernt. Somit komme ich für mich zu dem Schluss, egal was wir tun, und wer es tut: wir sind eben doch nicht alle gleich!

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