Homeoffice. Ein Erfahrungsbericht.

"Jeder sollte das Recht auf Homeoffice haben!" fordern die Grünen. Ich sage: seid vorsichtig mit dem was ihr euch wünscht, denn es könnte in Erfüllung gehen! Ich selbst arbeite bereits seit über 15 Jahren im Homeoffice und weis, dass diese Art zu arbeiten  nicht immer nur Sunshine & Roses ist. Natürlich hat es durchaus Annehmlichkeiten von zu Hause arbeiten zu können. Aber, das hat meines Erachtens nur solange Vorteile, bis alle im Homeoffice sitzen.

 

Bei uns in der Medienbranche gibt es schon länger Sitzungen über Teams oder Skype. Das ist für uns primär erstmal nichts Neues. Neu ist aber die staatlich verordnete Pflicht zum Homeoffice. Somit werden viele räumliche Meetings in den digitalen Bereich verlagert. Da wird aktuell aber offensichtlich, dass man mit diesem Werkzeug noch nicht wirklich umgehen kann.

 

Zu allererst empfinde ich Videokonferenzen als extrem anstrengend. Eine zweistündige Videokonferenz ist für mich so ermüdend wie ein vierstündiger Konferenzmarathon in einem Raum. Das liegt wohl tatsächlich an der leichten Latenz in der Übertragung. Ich habe darüber kürzlich gelesen, dass diese Latenz, die es in einem Face-toFace-Meeting nicht gibt, unserem Gehirn Höchstleistungen abverlangt, weil es permanent diese Verzögerungen versucht auszugleichen. Man merkt dies auch an den "Pausen" die entstehen wenn jemand mit seinem Satz fertig ist – keiner unmittelbar darauf antwortet und dann plötzlich mehrere Personen gleichzeitig ansetzen nur um dann direkt wieder innezuhalten weil sie merken, dass dies ein Durcheinander gibt. Ein angenehm fließendes Gespräch will in einer Videokonferenz nicht in Gang kommen.

 

Man scheint ausserdem zu glauben, dass nur weil man sich die Anfahrt zum Gesprächspartner spart, man mehr Zeit zur Verfügung hätte und man durch Videokonferenzen schneller und effizienter wäre. Aber ist das wirklich so? Ich bemerke eher das Gegenteil. Wo wir uns vor Corona gründlich überlegt haben ob wir an einem Meeting wirklich teilnehmen müssen, extra das Büro verlassen um dort hinzufahren, geben wir heute Einladungen zu Videokonferenzen fast schon inflationär aus. Ob da eine Person mehr oder weniger eingeladen wird, ist unwichtig. Ich persönlich kannte es aus der Zeit vor Corona auch nicht, dass man zu bestimmten Projekten wöchentlich angesetzte Meetings abgehalten hätte. Aktuell passiert das ständig. Man wird da auch zu Meetings eingeladen, bei denen man in der Tat nur sehr wenig beitragen kann. Die Initiatoren halten es offensichtlich für praktisch alle beisammen zu haben. Unterm Strich bedeutet das für mich aber, dass ich anstatt einem Meeting pro Woche plötzlich mindestens ein Meeting pro Tag habe. Bei dieser Entwicklung würde man sich wünschen, dass man auch die zehnfache Menge an Arbeitsvolumen akquiriert hätte, dem ist aber nicht so. Man hechtet von Videokonferenz zu Videokonferenz und fragt sich bei all dem Gelaber wo da noch Zeit zum Arbeiten bleiben soll. Das was für Pendler ein Segen ist, wird für mich allmählich zum zeitfressenden Fluch!

 

Wenn man lediglich Konferenzen mit Videokonferenzen ersetzen würde, wäre das ganze vielleicht noch vertretbar. Aber, eine Vielzahl der aktuellen Videomeetings rührt auch daher, dass jetzt auch kurze Telefonate gegen Konferenzen ersetzt werden. Hat man früher bei einer Frage schnell die Kontaktperson angerufen und nach kurzer Begrüßung direkt zur Sache kommen können, um sich inhaltlich abzustimmen, kommt man heute zu einer Videokonferenz zusammen und es bleibt einfach nicht bei einem fünfminütigen Anruf. Man hat in der breiten Masse moderne Medien wie Teams, Zoom oder Skype entdeckt und findet das offenbar so toll, dass man versucht dies auf alles möglich anzuwenden. So hat mir kürzlich ein Bekannter erzählt, dass er sich, weil deren Stammkneipe aktuell geschlossen ist, über Facetime mit seinem besten Freund volllaufen ließ. Es war seiner Aussage nach aber wenig befriedigend und soll wohl in diesem Rahmen nicht mehr wiederholt werden. Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte, ist die Tatsache, dass wir diese Medien nun gerne einsetzten, aber im Gegensatz zum Telefon hierfür noch keinerlei Gepflogenheiten haben. Bei einem Telefonat wissen wir, dass eine kurze Floskelei zu Beginn ausreicht und man danach direkt in ein "Du, sag mal, ich habe da eine Frage zum Thema...". übergehen kann, und schon ist das Gespräch im Gange. Man kommt dann nach der Klärung relativ schnell mit einem "...das war es schon, mehr wollte ich gar nicht wissen..." wieder raus. Solche Floskeln haben wir bei diesen neue Meetings nicht. Im Gegenteil: die Ovetrüre in so einer Videositzung wirkt bisweilen sehr künstlich und steril und in weiten Strecken von digital-sozialem Unvermögen geprägt. In manchen Sitzungen konnte man den Teilnehmern regelrecht anmerken wie sie krampfhaft versucht haben aus dieser Begrüßungshölle herauszukommen, aber keiner traute sich den ersten Schritt zu machen um das eigentliche Meeting inhaltlich zu beginnen.

 

Das bringt mich direkt auch zum nächsten Punkt. Nicht nur, dass wir noch keinen Digital-Knigge haben, sondern es fehlt in vielen Meetings auch an einem festen Zeitrahmen und einer Struktur. In vielen Büros gab es bislang nur eine begrenzte Anzahl an Konferenzräumen, weshalb man diese immer nur für einen gewissen Zeitraum buchen konnte. Das hat Meetings meist auf sehr gesunde Weise zeitlich klar eingegrenzt. Die "Räume" in digitalen Meetings sind aber nicht existent somit zeitlich nicht begrenzt, was Konferenzen auch teilweise ausufern lässt. Da bei diesen Meetings auch keiner mehr vorne am Whiteboard oder am Flipchart steht, fehlt dadurch auch eine gewissen Strukturierung durch eine souveräne Moderation.

 

Was auch mit dem Aspekt der souveränen Moderation in Zusammenhang steht, ist die Mimik und die Gestik. Bei vielen sind entweder Kamera oder Verbindungsqualität so schlecht, dass im Bild kaum Mimik zu erkennen ist. Bei manchen bleibt die Kamera gleich ganz deaktiviert. Das fehlt mir persönlich mit am Meisten. Wenn ich mit jemandem länger unterhalte, ist für mich die Mimik und die Gestik des Gegenenüber das wichtigste Mittel herauszufinden wie er empfindet. Wenn ich Entwürfe bei meinen Kunden vorstelle kann ich über deren Gesichtausdruck eine gewisse Reaktion ablesen, die mir Auskunft darüber gibt, wie gut meine Arbeit ankommt. Auch dieser wichtige Aspekt bleibt auf der Strecke.

 

Um das Thema Videokonferenz abzuschließen, fällt mir noch eine letzte Sache ein: die Verfügbarkeit der Teilnehmer. Mir fällt bei der Fülle an inflationär ausgegebenen Konferenzeinladungen immer wieder auf, dass wir alle mittlerweile so mit Meeting-Terminen zugeschissen sind, dass es relativ schwer ist, alle nötigen Teilnehmer kurzfristig an einem Termin zusammenzubringen. Einer der am häufigsten gehörten Sätze dieser Wochen ist "...da kann ich nicht, da habe ich schon ein anderes Meeting...". Somit gewinnen wir also zeitlich gar nichts, wenn eine nötige Besprechnung erst Tage später stattfinden kann als vor Monaten noch ein echtes Meeting. Es bleibt zu hoffen, dass wir irgendwann in einem Post-Corona-Zeitalter ankommen, in dem sich die Teilnehmer in diesen Videokonferenzen nicht mehr mega-hip und progressiv vorkommen, sondern diese eher als mondän und steril empfunden werden. Wir sind soziale Wesen und wir brauchen Menschen und keine Videobilder!

 

Was beim Thema Homeoffice auch viele Befürworter nicht umrissen haben, ist die Tatsache, dass es keine Trennung mehr zwischen Arbeit und "Büro" gibt. Was auf den ersten kurzsichtigen Blick noch gefeiert wurde, wird schnell zur Belastung, wenn man sich nach Feierabend nicht auf sein Zuhause freuen kann, weil man ja den ganzen Tag darin eingesperrt war. Der Vorteil sich morgens nicht mehr aufbrezeln zu müssen und evtl. sogar in den bequemen Sweats arbeiten zu können, nutzt sich relativ schnell ab und man vermisst es rauszugehen, unter Leute zu kommen, und sich über ein Kompliment über die neuen Sneakers zu freuen. Unser Leben findet auch ausserhalb unserer vier Wände statt, und birgt für uns jeden Tag unzählige Impulse. Sei es ein interessant aussehender Mensch der uns in der U-Bahn gegenüber sitzt, ein Kinoplakat an dem ich vorbei laufe oder der verlockende Geruch aus einer Bäckerei auf dem Arbeitsweg. Das mag im ersten Moment alles sehr banal klingen, aber in der Summe wird uns ein Teil unseres Lebens gestohlen wenn unser Arbeitsweg nur noch vom Bad bis ins Arbeitszimmer geht.

 

Was mir auch wichtig ist zu erwähnen: unser Zuhause ist unser Rückzugsort in dem wir uns von allem befreit fühlen dürfen. Wenn wir an unserem Arbeitsplatz von unserem Chef einen Einlauf bekommen, dann geschieht das am Arbeitsplatz. Wenn ich Stress mit Kollegen habe, dann passiert das an meinem Arbeitsplatz. Wenn ich bestimmte Dinge tun muss die ich nur ungern tue, dann passiert das an meinem Arbeitsplatz. Und ich verbinde all diese Geschehnisse mit Dingen die an meinem Arbeitsplatz sind. Wenn ich abends nach Hause komme, dann lasse ich diese Ereignisse und auch den Arbeitsplatz hinter mir und komme in meiner Privatsphäre an. Aber im Homeoffice verbinde ich alle diese unangenehmen Vorfälle plötzlich mit meinem eigenen Wohnraum, denn dorthin wurde all dies verlagert. Wohin ziehe ich mich dann zurück?

 

Das sind ledglich die Erkenntnisse die ich aus meinen 15 Jahren Homeoffice mitnehmen konnte. Es passieren anderen sicherlich täglich noch viele andere Dinge die ich akut nicht auf dem Schirm habe. Aber ich denke alles das, was ich hier alles aufgezählt habe, sollte den Entscheidern in Berlin zu denken geben. Frei nach Goethes Zauberlehrling "..Die Geister die ich rief.." will der Ruf nach dem Homeoffice wohlüberlegt sein. Manche Entwicklungen kann man einfach nicht mehr rückgängig machen.

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