Alles in einen Topf, umgerührt und dann draufgeschlagen.

Der aktuelle Konflikt in Israel erhitzt momentan alle Gemüter. Dabei versuchen aber nicht nur die beteiligten Seiten ihre Standpunkte klarzumachen, sondern es geben auch viele ihren Senf dazu, die diese schwierige Situation nicht mal ansatzweise überreißen. Trotzdem wird sofort die Antisemitismus-Keule ausgepackt. Das macht eine Lösung des Konfliktes noch schwieriger als es sein müsste.

 

Wie bei allem in unserer Gesellschaft erwartet man von uns zu schnell zu einem Sachverhalt Stellung zu beziehen. "Klare Kante zeigen" wurde mittlerweile zu einer abgedroschenen Phrase; ja fast schon zu einem Reflex. Es wird quasi nicht geduldet, dass man zu bestimmten Dingen schweigt. Das heisst, Personen der Öffentlichkeit stehen in solchen Situationen sofort in Zugzwang sich direkt äußern zu müssen und sich zu positionieren. Um dies aber fundiert tun zu können, wäre es dringend notwendig sich mit einem Sachverhalt eingehend zu beschäftigen. Das setzt aber Zeit, Interesse und Kompetenz voraus. Wenn ich mich reflexartig zu solch einem Konflikt äußere, ist es quasi unmöglich fundiert Stellung zu beziehen, denn ich hatte gar nicht die Zeit alle Aspekte zu beleuchten, verifizieren oder abzuwägen. Dann passieren mehrere Dinge: Erstens wird eine differenzierte Betrachtung unmöglich. Es wird einem entgehen wie komplex solche Situationen sind und es wird ausgeblendet, dass eine wirkliche Entscheidung für eine der beiden Seiten, der Situation niemals gerecht werden kann. Im zweiten Schritt tappen viele, um sich nicht angreifbar zu machen, sofort in die Falle; entscheiden sich vorschnell für die vermeintlich unverfänglichere Seite ohne zu erkennen, dass sie sich damit erst recht angreifbar gemacht haben. Dieses Dilemma wird den Grünen und FFF aktuell zum Verhängnis weil sie ihre Emphathie für das palästinensische Volk nicht vernünftig formuliert bekommen, ohne dabei den Israelis vors Schienbein zu treten und sich dabei selbst dem Antisemitismus-Vorwurf auszusetzen.

 

Ich bin wahrlich kein Nahost-Experte, aber wenn man sich mit dem Nahost-Konflikt nur etwas eingehender beschäftigen würde, dann würde einem zu allererst offensichtlich werden, dass dies kein kurzfristig entstandener Konflikt ist, sondern, dass dies über viele Jahrzehnte gewachsen ist. Hier muss man sich zwar die Gründung des Israelischen Staates genau ansehen, darf aber im Zeitstrahl nicht erst dort beginnen. Man muss recherchieren, auf welcher Grundlage dieser Staat gegründet wurde, wie dies mit dem Volk Palästinas zusammenhängt und wieviel Mitsprache diese bei der Gründung Israels hatten. Um zu verstehen, ob die Gründung Israels jemals problemlos hätte sein können, müsste man noch mal viele Jahrhunderte zurückgehen um das generelle Verhältnis zwischen Muslimen und Juden zu verstehen.

 

Es ist verständlich, dass nach all dem was den Juden im Zweiten Weltkrieg angetan wurde, die Weltgemeinschaft das Bedürfnis hatte, den Juden einen eigenen Staat zu geben wo dieses Volk zur Ruhe, und ankommen konnte. Ob die Gründung Israels an just dieser geologischen Stelle der richtige Weg war, muss man hinterfragen dürfen. Nun ist dieser Staat aber nun mal gegründet und von den meisten Nationen der Welt anerkannt worden, deswegen brauchen wir über die Legitimät Israels nicht mehr diskutieren; Israel ist sehr wohl legitim. Aber, so sicher die Legitimität der Gründung Israels auch ist, bleiben dabei trotzdem unzählige Fragen offen, denn nur weil ein Staat gegründet ist und auch legitim ist, heisst dass nicht, dass der Staat gut regiert wird. Auch heisst es nicht, dass die Art wie dieser legitime Staat sich im Umgang mit seinen Nachbarn verhält richtig ist, oder ob es nicht eine klügere und diplomatischere Vorgehensweise gäbe. Desweiteren sagt dies auch überhaupt nichts darüber aus, wie sich der Bürger und die Gesellschaft dieses legitimen Staates zu den Entscheidungen seiner Politik positioniert. Die allerdings alles eintscheidene Frage die sich dabei stellt ist aber, wieviel die Vorgänge die zur Eskalation begetragen haben, mit der Herkunft und Religion der beiden Bevölkerungen zu tun haben? Es bestünde auch die Möglichkeit, dass hier die Herkunftsfragen von wichtigen Personen instrumentalisiert werden, obwohl sie mit den eigentlichen Problemen nichts zu tun haben. Wie gesagt, ich bin wahrlich kein Nahost-Experte, aber für meine Begriffe hat dieser ganze Konflikt im Kern eigentlich wenig mit Religion zu tun, sondern eher mit geopolitischen Interessen. Ich möchte Präsident Netanjahu keineswegs unterstellen nicht religiös zu sein, aber seine Politik wirkt seit jeher eher von Macht und Geld getrieben als von Traditionsbewusstsein und religiöser Überzeugung. Deswegen empfinde ich, dass dieser Konflikt an anderer Stelle, mit anderen Völkern/ Religionen auf relativ identische Weise hätte ablaufen können. Somit hat dies im Kern erstmal nichts mit Antisemitismus zu tun.

 

Ich gebe mal folgendes hypothetisches Beispiel: Stellen wir uns vor die Weltgemeinschaft wäre der Meinung die Kurden sollten einen eigenen Staat haben und würden auf dem Boden der Türkei, gegen den Willen des türkischen Volkes, einen Kurdischen Staat ausrufen und gründen. Stellen wir uns auch vor die meisten Nationen würden diesen Staat anerkennen und sowohl diplomatische als auch wirtschaftliche Beziehungen aufbauen. Plötzlich zögen die Kurden Grenzzäune hoch, hätten eine eigene Armee und eine eigene Regierung. Dazu wären nun noch eine ganze Menge Türken die auf diesem Territorium verblieben, die diese Gegend als ihre Heimat bezeichneten. Die Gegend, die sie und ihre Vorväter als Türkei lieben gelernt haben, hieße in dieser Region plötzlich Kurdistan. Könnte man hier automatisch von einem religiösen Konflikt sprechen? Bei allen Differenzen die hier im Religiösen bestünden, wäre dies in aller erster Linie ein geopolitischer Konflikt, in dem die Türkei behaupten würde, dass ihr Land von der Weltgemeinschaft für die Kurden zum Teil "rechtswidrig" annektiert würde.

 

Selbstverständlich wäre es gut, wenn die Kurden einen eigenen Staat hätten um dort in Frieden zu leben, aber die Art und Weise wie man diesen Staat gründet, kann darüber unterscheiden ob es funktioniert oder im Chaos endet. In Israel haben die Vereinten Nationen genau dies gewagt und offensichtlich nicht auf dem Schirm gehabt, wie sich diese Situation über Jahrzehnte verschlimmern würde. Aber ganz abgesehen davon, dass die Gründung Israels heikel war, hatten die jahrzehntelangen folgenschweren Entscheidungen der Israelischen Regierung und der Hamas viele Chancen zu einem dauerhaften Frieden versäumt – man denke an die Bemühungen von Itzhak Rabin und Yassir Arafat, wovon bei einer Regierung Netanjahu und der Hamas aktuell nicht mehr viel zu erkennen ist. Oder die Tatsache, dass in den ´90er Jahren während Friedensverhandlungen zwischen Israel und der PLO die Hamas mit dem Bombardement weitergemacht hatten. Das gilt auch für die israelischen Entscheidungen die Siedlergebiete auf Regionen auszuweiten, die eigentlich den Plästinensern zugesprochen waren. Auch das ist keine religiös motivierte Entscheidung sondern eine Staatsrechtliche. Selbst wenn der Israelische Staat christlich, muslimisch oder ausserirdisch wäre, würde diese Entscheidung klar zu einem massiven Konflikt in dieser Region führen. Was hier aber passiert ist, dass, um in solch einem Konflikt Etappensiege einfahren zu können, man Massen mobilisieren muss. Man muss die eigenen Bürger hinter sich versammeln, und am besten noch Leidenschaft generieren. Das heisst also, dass die Führungsriegen auf beiden Seiten eine emotionale Komponente mit ins Spiel zu bringen um eine gewisse Hingabe und Opferbereitschaft beim Volk einzusammeln. Was eignet sich hier besser als die eigene Herkunft zu instrumentalisieren und somit auch das Vermächtnis der eigenen Vorfahren mit ins Spiel zu bringen. Wir kennen diese Vorgänge auch aus dem Nordirland-Konflikt wo die Situation künstlich emotionalisiert wurden. Rufe wie "Scheiss Juden" auf Anti-Israelischen Demonstrationen gehen völlig an den eigentlichen Problemen vorbei, denn das sind keine jüdischen Entscheidungen sondern politische Entscheidungen, die mit Religion nichts zu tun haben. Man müsste vielleicht eher rufen "Scheiss Israelische Politiker", aber das klingt halt absolut nicht emotional. Aber auf "Die Juden" zu schimpfen hat im Kern nichts mit der Religion von Menschen oder mit deren Herkunft zu tun, sondern ist nur das "Narrativ" das um diesen politischen Konflikt herumgeschrieben wurde. Hier werden Menschen auf beiden Seiten einfach intrumentalisiert und mit vorgeschobenen religösen Idealen auf nüchternste politische Ziele eingeschworen. Somit ist Antisemismus keine vom Volk gefühlte Ablehnung, sondern ein, von der Politik bestimmter Staaten, gestreutes Mittel um Massen zu mobilisieren. Was hier passiert ist nicht nur unangebracht sondern regelrecht elkelhaft. Was man dabei aber bitte sehen muss ist, dass hier einzelne demonstrierende Gruppen einer ganzen Bevölkerung zugeschrieben werden. Wir wissen aber gar nicht ob das Gros der palästinensischen Bevölkerung hinter den Kampfhandlungen der Hamas steht und diese befürwortet, oder ob auch auf deren Seite eine diplomatische Lösung bevorzugt würde. Gleiches gilt auf der Israelischen Seite: keiner von uns kann wissen wieviele Israelis der Meinung sind, dass die Ausweitung der Siedlergebiete ein Fehler war, der dem Frieden in diesen Gegenden geschadet hat. Den Staat, die Politik und das Volk einfach gleichzusetzen ist kurzsichtig und kann niemals funktionieren. Abgesehen davon, ist Israel ein Staat der von seinen eigenen Bürgern in hohem Maße kritisiert wird; z. B. auch von Ahmad Mansour der sich deutlich für eine Zweistaaten-Lösung ausspricht. Nur aus dem Ausland, besonders aus Deutschland, scheint das nicht möglich.

 

Was soll das im Umkehrschluss eigentlich bedeuten: Ich kann einen besten Freund haben, aber darf ich ihn nicht kritisieren und muss ihn so nehmen wie er ist?

 

Nur weil er etwas tut womit ich nicht einverstanden bin, heisst es nicht, dass ich alles was ihn betrifft ablehne und und meine Sympathie für ihn in Hass umschlägt. Nein, ich kann meinem Freund, bei allem Respekt sagen, dass ich denke, dass er auf dem Holzweg ist und ich nur deshalb Kritik an ihm übe, weil ich es gut mit ihm meine. Somit ist es auch an uns, dem gebildeten Bürger, uns nicht vor irgendeinen Karren spannen zu lassen. Egal wie sich politische Entscheidungen geopolitisch auswirken sollten, müssen wir als normale Bürger ein paar Dinge auseinander halten: Im Nahen Osten ist der Staat Israel. In Israel regiert eine gewählte Regierung. Diese regiert eine überwiegend jüdische Bevölkerung. Das sind aber drei völlig verschiedene Dinge. Wenn wir über die Vorgänge dort sprechen und sagen "die Israelis" oder "der Staat Israel", von wem genau sprechen wir da? Von säkularen Politikern, religiösen Führern oder Rabbinern, oder vom gemeinen Bürger? Wer ist in diesem Falle "Israel"? Und spricht die Regierung für sich oder sprechen sie auch für den Großteil des Volkes? Und wären die Entscheidungen dieser Regierung anders getroffen worden, wenn diese Regierung muslimisch, christilich oder atheistisch wäre?

 

Was es auch gibt sind Kritik, Ablehnung und Hass – auch drei völlig verschiedene Dinge! Anitisemitismus wäre ein absolutes Extrem; der Hass auf Juden. Aber was bitte hat die Kritik an Israelischer Politik mit Hass auf Juden zu tun, wenn die Entscheidungen und Probleme im Kern wenig mit Religion zu tun haben? Was hat die Ablehnung von Gewalt im Gazastreifen mit Antisemitismus zu tun?

Deutschland, Italien, Tschechien und die USA, um ein paar Beispiele zu nennen, sind wie Israel Demokratien die ihre Entscheidungen stets souverän treffen. Dafür müssen sie sich auch jederzeit hinterfragen lassen und gegebenfalls auch rechtfertigen. Auf Israel scheint dies nicht zuzutreffen, denn eine politische Kritik an den souveränen Entscheidungen Israels werden sofort als Antisemitismus und Judenhass eingeordnet. Wenn man eine Israelische Regierung kritisiert wird einem sofort unterstellt, man stünde auf der Seite Palästinas. Aber auch das trifft nicht automatisch zu. Ich kann sowohl politische Entscheidungen Israels kritisieren und trotzdem die Gewalt der Hamas strikt ablehnen und Israel zugestehen, sich gegen Angreifer zu verteidigen. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: gerade weil wir an der Seite Israels stehen müssen wir sie erst recht kritisieren dürfen. Trotzdem positionieren sich viele vorschnell und sind entweder Pro-Israel oder Pro-Palästina obwohl beide Positionierungen Sackgassen sind. Die Palästinensische Führung der Hamas würde ich gerne fragen, was sie glaubt wer sich mit ihnen noch an einen Tisch setzen soll, solange sie Raketen in Richtung Israel abfeuern. Sie untergraben damit ihre eigene Argumentation. Die Israelis würde ich im Gegenzug fragen, was sie glauben, wie die Palästinenser ruhig und besonnen bleiben sollen, wenn ihnen Gebiet um Gebiet durch die Siedler streitig gemacht wird. Hier passieren offensichtlich Fehler auf beiden Seiten, womit klar wird, dass beide dafür verantwortlich sind, dass der Konflikt sich eher aufheizt anstatt sich aufzulösen.

 

Somit wird auch klar, es ist unmöglich sich hier zu positionieren um zu 100% auf der "richtigen Seite" zu stehen. Egal wie ich mich positionieren würde, hätte die eigene Entscheidung immer eine massive Schattenseite die ich damit auf mein Gewissen lade. Fakt ist, der Konflikt muss zurück zu den Diplomaten und weg von den Militärs und Millizen. Und was viel wichtiger ist, wir, die wir von dieser Situation wenig Ahnung haben, müssen unsere Sympathien weg von den politischen Führern hin zur Bevölkerung geben und verbal massiv abrüsten! Erst dann sehen wir die Nöte der Menschen auf beiden Seiten. Das ist eine Position mit der ich mich viel besser indentifizieren kann. Aber den Schuh des Antisemitismus werde ich mir niemals anziehen!

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