Umfragen vs. Freier Wille

Was machen die Fernsehsender lieber als Reality-TV? Sie geben Prognosen zu irgendwelchen Themen ab. Generell ist das natürlich nachvollziehbar, aber ist es auch sinnvoll?

 

Aktuelle Umfragewerte lassen erahnen wie das Wahlergebnis wohl ausgehen wird. Die CDU wird vermutlich abgewählt werden. Woher weiß man das? Na klar, von den ständig kolportierten Umfragewerten. Nun ist man versucht zu glauben, dass Umfragewerte das tatsächliche Stimmungsbild in der Bevölkerung widerspiegeln würden. Aber wenn man die Situation mal genauer hinterfagt drängt sich eher der Verdacht auf, dass hier Zahlen wenig damit zu tun haben.

 

Blickt man mal in die jüngere Vergangenheit zurück, dann waren vor einem halben Jahr die Sozialdemokraten irgendwo bei belanglosen 14%. Viele in der Bevölkerung haben sich gefragt wofür die SPD steht. In Bürgerstatements bei Befragungen durch Fernsehteams haben Menschen tatsächlich geäußert, dass sie sich fragen wofür man die SPD überhaupt noch bräuchte? Das war nicht in grauer Vorzeit, sondern war jüngst zu Esken und Kühnert Zeiten. Olaf Scholz war zu diesem Zeitpunkt schon Kandidat und man fragte sich auch weshalb die SPD sich überhaupt die Mühe macht einen Kandidaten aufzustellen. Die SPD war also eine luftleere Partei die kaum mehr eine Rolle gespielt hat.

 

Aber jetzt stelle ich die ernsthafte Frage, was hat sich inhaltlich bei der SPD seither getan, was solch eine Trendwende rechtfertigen würde? Haben sie eine neue Führungsspitze? Haben sie einen anderen Kandidaten? Tanzt Olaf Scholz plötzlich nackt auf dem Tisch? Will Kevin Kühnert plötzlich Dinge die eher in der bürgerlichen Mitte zu finden sind? Die SPD die vor einem halben Jahr noch ausgebuht wurde ist genau die gleiche SPD die jetzt auf der Gewinnerspur zu sein scheint. Selbst die SPD Spitze hat nicht den blassesten Schimmer warum sich die Stimmung so gedreht hat. Sie wüssten es gerne, denn dann würden sie es gerne in ihrer Argumentation verwenden. Aber sie stehen gebannt da, wie ein Spieler vor dem Roulette-Tisch, der erstaunt feststellt, dass er plötzlich dauernd mit der gleichen Zahl gewinnt, mit der er jahrelang sein ganzes Geld verzockt hat. Deshalb steht er wie angewurzelt da, traut sich kein Wort zu sagen und traut sich vor allem nicht jetzt nochmal eine andere Zahl zu setzen. Augen zu und durch. Never touch a running System! Aber mir stellt sich die Frage wie es sein kann, dass der Bürger seine Meinung so drastisch ändert, ohne, dass sich die Ausgangssituation wirklich geändert hat? Die Parteiprogramme sind alle keine Überraschung: Die SPD schreit nach sozialer Gerechtigkeit, die Grünen schreien nach Umweltschutz und die CDU will die Wirtschaft stärken. Also alles nichts Neues. Daran kann es also nicht liegen. Eigentlich auch nicht an Armin Laschet, denn als auch noch Norbert Röttgen und Friedrich Merz zur Wahl standen wollte auch der Bürger lieber Laschet. Eigentlich sollte der Bürger alles haben was er will. Da ist auch kein Maskenskandal der CDU schuld. Sicherlich hat des saublöde Getue von Söder nicht wirklich geholfen, aber auch hier ist die Schuld nicht zu finden.

 

Was man hier aber ausser Acht lässt: der Bürger weiss nicht was er selbst will. Er sieht immer nur was die Anderen wollen, haben und tun – und exakt das ist es, was er dann auch will. Das Souverän, dass der Bürger glaubt für sich selbst zu haben, hat er oftmals gar nicht. Nur so ist es möglich allgemeine Trends zu erklären. Warum sonst sollte sich eine Nation von "Individualisten" plötzlich gleich anziehen, sich Bärte wachsen lassen, ein SUP aufpusten um stehend über den See zu paddeln. Die unbequeme Wahrheit ist, wir sind nur selten zu originellen oder gar originalen Gedanken fähig und orientieren uns an der Herde. Da wir aber physisch nicht in der Lage sind die komplette Herde zu treffen, weil es eine Herde aus 82 Millionen "Tieren" ist, ist eine Umfrage die einzige Möglichkeit für den Einzelnen die Herde zu "sehen" um sich daran zu orientieren. Somit sind Umfragewerte nicht wirklich ein Stimmungsabbild sondern ein vermeintliches Stimmungsbild das dann auch unmittelbar Einfluss nimmt auf das was der einzelne Bürger will. Wenn alle aktuell sagen "Laschet ist unfähig und hat kein Profil" dann muss das stimmen, sagen ja schließlich alle in der Herde! Also beginne ich auch dies so zu empfinden und plappere es einfach weiter. Wenn alle Nutella kaufen dann muss das ja gut sein, also kaufe ich das auch. 'Gleiches Phänomen.

 

Ich denke das Problem ist aktuell kein Politisches, sondern eher die Unzufriedenheit durch die Corona-Pandemie. Der Bürger ist mürbe und genervt. Der Bürger hat zwar Angst, will aber trotzdem sein Leben wieder zurück auch wenn er nicht weiß wie das genau gehen soll – schließlich hat die Politik aktuell dafür keine Erzählung. Einerseits will er wieder so leben wie vorher, ist aber so verängstigt, dass er sich aktuell gar nicht traut so zu agieren wie vorher. Er würde aktuell die Maske nicht ablegen auch wenn er es wollte und dürfte. Dieser ganze Frust entläd sich nun im aktuellen Wahlkampf. Der Mensch interessiert sich nämlich beispielsweise gar nicht halb so sehr für Klima wie er das für sich empfinden möchte. Und obwohl die Pandemie keine unbequeme Parteiagenda ist die man einfach umschreiben kann, will der Bürger trotzdem, dass plötzlich jemand kommt und die Geschichte seines Daseins umschreibt und Dinge möglich macht die bislang nicht möglich waren. Wer ehrlich ist, der weiss auch, dass in der Großen Koalition die sichtbaren Akzente durch die CDU gesetzt wurden. Deswegen ist die SPD trotz realer Regierungsbeteiligung gefühlt nicht Teil der Regierung. Das merkt man aktuell deutlich im Wahlkampf wenn alles an beschlossener (bzw. nicht beschlossenerer, falsch beschlossener, oder halbherzig beschlossener) Regierungsarbeit der letzten Jahre auf den Deckel die CDU geschrieben wird, aber für sehr wenig die SPD verantwortlich gemacht wird. Das mag auch daran liegen, dass Gesichter wie Spahn und Altmaier während der Pandemie dauerpräsent waren, wohin gegen das präsenteste Gesicht der SPD, Karl Lauterbach, weniger als SPD Funktionär denn als Mediziner in die Öffentlichkeit gedrängt ist. Somit waren die Anordnungen der CDU politisch gesehen weitreichender und tiefgreifender als die von Scholz und Heil. Will man nun also einen Wandel, fällt die Wahl nicht auf die CDU, sondern auf den politischen Gegner – was in diesem Fall auch die SPD ist obwohl diese Teil der Großen Koalition war. Dass viele Maßnahmen von der SPD mitgetragen (und mitvergeigt) wurden ist auch bei mir nicht so präsent, denn die SPD war in den Medien ein blasser Mitläufer ohne Profil. Entgegen dem waren die Anordnugnen von Spahn allen Bürgern unangenehm und haben unser Leben extrem unbequem gemacht, weshalb für viele sein Gesicht eine Projektionsfläche für den eigenen Frust wurde. Das ist meines Erachtens total menschliches Verhalten.

 

Schauen wir uns doch mal eine typisch menschliche Alltagserfahrung an: Wenn wir als Menschen mal an den Punkt kommen, wo wir von einer Sache, oder einer Person, total genervt sind, dann gibt es wenig Möglichkeiten das rückgängig zu machen. Das ist ein Point-of-no-Return. Diese Personen könnten vor uns mit dem Arsch Fliegen fangen, es würde nichts mehr ändern. Das liegt daran, dass in dieser Situation eher die emotionale Komponente als die Logische zum Tragen kommt. Diese Situation mit rationalen Argumenten zu drehen ist schlichtweg nicht möglich. Wichtig ist für uns dann eine radikale Veränderung egal wie diese aussehen soll und wie sich das auf uns auswirken würde. Das ist eine frustrierte, trotzige und auch unreife Haltung von uns Bürgern. Umfragen sind hier also eher Stimmungsmache als Stimmungsabbild. Eher stimmungsbildend als stimmungsabbildend. Die wichtige Frage hierbei ist, ob dieses Verhalten/ Situation einer Bundestagswahl würdig ist und der Wichtigkeit dieser Wahl gerecht würde.

 

Deshalb bitte Ich alle mündigen und wahlberechtigten Bürger sich eingehend zu fragen was sich seit dem Stimmungsumschwung in Richtung SPD wirklich verändert hat. Er sollte sich fragen ob es wirklich konkrete Inhalte waren die die eigene Meinung geprägt haben oder ob das in der Öffentlichkeit kolportierte Stimmungsbild dafür verantwortlich ist, dass man selbst seinen Standpunkt geändert hat. Wenn man sich diese Frage wirklich detailiert mit Argumenten und belegbaren Fakten beantworten kann, dann finde ich die Meinungsänderung (auch in Richtung SPD) berechtigt und auch nachvollziehbar. Wenn man sich aber selbst ehrlicherweise eingestehen muss, dass der eigene Sinneswandel eher schleichend, durch die eigene diffuse Unzufriedenheit zustande kam, dann wird es Zeit den eigenen Standpunkt schnellstens zu überdenken und neu herauszuarbeiten. Denn, Unzufriedenheit ist keine Strategie, nicht mal eine vage Idee. Unzufriedenheit ist lediglich undifferenzierte Frustration. Das kann keine Basis für eine fundierte Entscheidung sein. Ich bin sicher kein Wähler der SPD oder der Grünen. Und ich kann auch keinem raten diese Parteien zu wählen weil ich zutiefst überzeugt bin, dass deren Konzepte nicht durchdacht sind. Wenn aber jemand diese Parteien trotzdem wählen möchte, dann sollte er seine Frustration überwinden sich unbedingt mit diesen Parteien beschäftigen und sie dann aus tiefster Überzeugung wählen, nicht aus Trotz. Andernfalls wacht er sonst in einem Deutschland auf das er so nie wollte.

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