Deutschland du bist unmöglich!

Deutschland hat gewählt und aktuell ist viel Musik in den Sondierungen. Eigentlich läuft das momentan genau so gesittet wie man es sich in einem geordneten westlichen Staat wünschen würde. Keine Äusserungen unter der Gürtellinie, keine Erpressung und kein für mich erkennbar ungebührliches Verhalten.Trotzdem gibt es von allen Seiten wieder ein Mordsgejammer was nun wieder alles schief laufen würde. Einige haben offensichtlich das Jammertal von 2017 erfolgreich verdrängt.

 

Natürlich passt mir das Wahlergebnis nicht so wirklich. Am Liebsten wäre mir eine Schwarz-Gelbe Regierung gewesen. Die Wählerstimmen geben dies aber einfach nicht her. Da hilft kein Jammern und kein Zetern, jetzt muss eine Regierung gefunden werden. Mir war nicht bewusst, dass Demokratie bedeuten würde Gewohnheit oder Einfachheit. Ich dachte immer Demokratie bedeutet Wählerwille und Ehrlichkeit. Einigen Journalisten geht es aber offensichtlich nicht einfach und schnell genug. Bislang war es zwar immer so, dass die stärkste Kraft die Sondierungen führt und die Koalition bildet, aber mir ist nicht bekannt, dass das so in Stein gemeisselt wäre und es genau so passieren muss. Es war schon immer so, dass es darum geht eine Mehrheit zu finden um mit dieser stabil zu regieren. Es gibt aber aktuell Presseberichte nach denen dieser aktuelle Zustand einer Demokratieauflösung gleichkäme. Das sehe ich anders. Wo steht geschrieben, dass Grüne und FDP sich nicht zuerst zu Sondierungen treffen dürfen? Nur weil das bislang nicht so praktiziert wurde, heisst das doch nicht, dass es unsere Demokratie aushölen würde. Immerhin haben diese beiden Parteien auch Wählerstimmen bekommen die anteilig den Wählerwillen abbilden. Dadurch ändert sich ja auch nicht das Gewicht der Stimmen. Die z. B. 11% der FDP bleiben ja 11% und werden durch die Eigeninitiative bei den Sondierungen nicht plötzlich zu 20%. Somit sind sie sehr wohl legitimiert so vorzugehen wie sie es aktuell tun.

 

Desweiteren stören sich einige Stimmen in der Presse daran, dass sich Grüne und FDP in vielen Punkten bereits einig sind. Ich kann daran nichts Schlechtes erkennen. Wir haben Jahrzehnte hinter uns in denen Parteien von ihren Idealen nicht abrücken wollten weil sie einen Kompromiss für den Ausverkauf ihrer Ideale hielten. Würde man dem Zeitgeist Glauben schenken, waren dies genau die Jahrzehnte des Stillstands und des Weiter so. Die stupide Forderung, nach der Wahl alles so zu wiederholen wäre folglich auch nichts Anderes als genau jenes Weiter so. Sollen wir nach deren Auffassung also 2017 aufleben lassen und erneut ein halbes Jahr verhandeln um wieder eine völlig gespaltene Notregierung zu bekommen? In der Tatsache, dass sich FDP und Grüne aktuell sehr schnell bei vielen Punkten einigen konnten, sehe ich verantwortungsvollere Politik als ich sie bisher wahrnehmen musste. Ich sehe darin eine echte Basis zu einer konstruktiven Zusammenarbeit.

 

Ich sehe jetzt auch keine Astrid-Lindgren-Welt auf uns zukommen. Ich bin Realist. Egal aus welchem Lager ein Politiker kommt, es geht ihm um Macht und Möglichkeiten die eigenen Ziele umzusetzen. Somit erliege ich auch nicht der Illusion FDP und Grüne würden jetzt beste Freunde. Das waren sie nie und werden sie vermutlich auch nie. Aber viele Presseleute versuchen uns die politischen Gräben tiefer und feindlicher zu erzählen als sie es sind. Wenn ich eine Waage benutze, liegen das zu wiegenden Gut und das Gegengewicht auch auf gegenüberliegenden Seiten und nicht nicht direkt aneinander. Und trotzdem funktioniert eine Waage wie sie soll – genau betrachtet funktioniert sie sogar NUR weil die beiden Seiten gegenüber liegen.

 

Ich denke, dass diese neue Herangehensweise – die Sondierungen durch die beiden kleineren Parteien zu beginnen – tatsächlich Teil einer neuen Denkstruktur sein könnte. Altes Verkrustetes wird damit aufgebrochen. Dazu kommt, dass die SPD oder die CDU beide kein starkes Votum eingefahren haben. Bis vor wenigen Jahrzehnten waren 25% ein gerade zu lächerliches Ergebnis. Und beeindruckend wirkt es in beiden Fällen nur weil die die SPD von 14% und die Union von über 30% kam. Mit diesem schwachen Vortum sehe ich bei keiner der beiden Parteien genug Wähleranteil um diese Sondierungen bedingungslos führen zu müssen. Auch dies einzugestehen ist Demokratie!

 

Ich bin Demokrat genug, um diesen gewählten Parteien erstmal den Benefit of the doubt zu geben. Nur weil diesmal alles anders gehandhabt wird als bisher muss dies nicht automatisch schlecht sein. Und alles was wir nach vorigen Wahlen gemacht haben war deswegen auch nicht gleichbedeutend gut und vertrauenserweckend. Dem Wählerwillen zu entsprechen, heisst aus dem gegebenen Votum verantwortungsvolle Politik zu machen. Und das wird am ehesten miteinander und nicht gegeneinander funktionieren. Wenn dabei die alten großen Volkparteien in ihrer Überheblichkeit mal etwas eingedampft werden schadet es ihnen vielleicht auch nicht. Vielleicht überrascht uns diese nächste Koalition sogar. Aber zum jetztigen Zeitpunkt bereits alles zu zerreden ist generisch oppositionelles Verhalten und in sich nur negativ und kein bisschen kontruktiv.

 

Die Frage an die aktuellen Kritiker wäre, was die Alternative dazu ist? Wieder sechs Monate zäher Verhandlungen die sich dann in Nichts auflösen weil man sich nach der Verhandlung so uneins ist wie vorher? Wieder ein Bündnis, dass sich auf einen Koalitionsvertrag einigt und dann über die gesamte Legislatur zerstritten ist, weil sich der Juniorpartner wie eine Oppositionspartei aufführt und alle mitgetragenen Entscheidungen direkt wieder zerredet? Ein Bündnis bei dem man über vier Jahre stets sehen kann wie angewidert man von der Situation ist vom politschen Gegenspieler abhängig zu sein? Dahin kann keiner zurück wollen. Deshalb bin ich selbst überrascht wie positiv das aktuelle Vorgehen von FDP und Grünen auf mich wirkt.

 

Echte Demokraten akzeptieren Wahlergebnisse und das was daraus mehrheitlich entschieden wird, auch wenn es einem selbst nicht gefällt. Politik ist kompliziert, und nicht nur das was man selbst versteht ist am Ende Demokratie. Sie kann sicher auch vieles sein, was ausserhalb unseres eigenen Horizonts liegt. Wenn man das verinnerlicht, wird man am Ende vielleicht positiv überrascht, oder man weiss nach vier Jahren endlich wo das eigene Kreuz auf dem Wahlzettel am wirkungsvollsten aufgehoben ist! Denn in der Demokratie sollte auch der Wähler bereit sein dazuzulernen.

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