Hormone vs. Erfahrung.

Ich lese jeden Tag Zeitung. Zwar nicht mehr wie früher in DIN-A2, auf dem Frühstückstisch bei Rührei und Orangensaft, sondern Online. Das Interessante bei dieser modernen Variante ist die Interaktion durch die Leser. In den Kommentarspalten kann man nämlich unmittelbar Stimmungsbilder zu den Artikeln erkennen. Was mir dabei immer wieder auffällt ist, dass viele Menschen heutzutage nicht mehr verstehen was Politik ist und wie sie funktioniert. Durch den momentan vorherrschenden Zeitgeist wird jedes Thema extrem emotional bespielt. Für alles gibt es eine Bewegung oder eine Vereinigung wo Themen extrem mit Emotionen aufgeladen werden: Gender, Rassimus, Klima, Mobilitätswende und viele mehr. Alle diese Themen kommen natürlich auch in der Politik vor.

 

Früher.

Früher war es so, dass Politik von den "Weissen alten Männern" gemacht wurde. Die jüngere Generation hingegen ging damals mit ihrer Wut und ihrem Elan auf die Straße und hat demonstriert. Ein Zustand den viele heute als unerträglich und reaktionär bezeichnen würden. Die Politik kam vielen damals zu emotionskalt und nüchtern vor. Die Jugend war von jeher, auf Krawall gebürstet und durch die Pubertät und die damit verbundene Hormonumstellung in eine Welt aus Emotionen gepushed und  dadurch zum Streiten verdammt. Aber es war auch immer so, dass gerade auch die Jenigen die in jungen Jahren studiert, demonstriert und in WGs zusammen gelebt und für eine Sache gebrannt haben, im späteren Lebensverlauf feststellen mussten, dass die Flamme für die damaligen Herzensangelegenheiten doch ziemlich erloschen ist. Da blickt dann so mancher Chefarzt, Politiker oder auch Anwalt mit einem mitleidigen Lächeln auf seine Jugendsünden zurück und rechtfertigt diese mit seinem damals jungen Alter. Die Diskrepanz, dass er damals voller Ideale das Establishment bekämpft hat zu dem er heute selbst gehört, wird damit entschuldigt, dass man eben naiv war und vom Leben noch nicht viel gesehen hätte. Irgendwann musste man dann feststellen, dass man über die Zeit dem damaligen Feindbild immer ähnlicher wurde und, nach dem Seitenwechsel zum Feind, man diesen sogar verstehen kann. Bei manchen wird es sogar so sein, dass er unterm Strich vielleicht sogar froh ist, dass er in seinen jungen Jahren weniger bewegen konnte als ihm damals lieb war, denn es könnte im weiteren Verlauf seines Lebens vielleicht sogar von Vorteil für ihn gewesen sein. Das lag sicherlich daran, dass die "Weissen alten Männer" es den jüngeren Rotznasen viel schwerer gemacht hatten, in der Politik in Führungspositionen zu kommen. Somit war die Politik tendenziell älter als heute.

 

Heute.

In der heutigen Zeit haben die Jusos, die Junge Union und andere Jugendorganisationen der Parteien wesentlich mehr Gewicht als damals. Die Politik ist heute mit Sicherheit 15-20 Jahre jünger als sie es noch vor 70 Jahren war. Das trägt natürlich eine Menge dieser hormonellen Streitlust in die Parteien und somit auch in die Parlamente, was sich in meinen Augen wenig positiv auswirkt. Die Grünen sind beispielsweise eine Partei, die in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern verhältnismäßig jung war – nicht nur als Partei sondern auch von den Mitgliedern her. Auch wenn in den Parteien viele Personen wie Trittin, Roth, Göhring-Eckart oder auch Özdemir doch schon ziemlich in die Jahre gekommen sind, verstehen sie sich immer noch als Stimme der Jugend und haben auch eine gewisse Verjüngung in der Politik mit durchgesetzt. Man kann in diesem Rahmen natürlich junge Menschen in Verantwortung bringen, wenn man es denn gerne möchte, und diesen Prozess der Partizipation zeitlich vorziehen. Was man aber nicht übers Knie brechen kann, ist das Aneignen von Lebenserfahrung. Man kann einen 18-Jährigen nicht auf Knopfdruck mit Lebenserfahrung ausstatten damit er die ihm übertragene Aufgabe besser bewältigen kann. Ein Mensch hat Lebenserfahrung oder er hat sie nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein 50 Jähriger Lebenserfahrung hat, ist wahrscheinlicher als, dass dies bei 18-Jährigen der Fall ist. Wenn ich also darauf beharre, den 18-Jähringen in ein politisches Amt zu heben, dann muss ich mir auch bewusst machen, dass seine Entscheidung eher von Emotion als von Besonnenheit getrieben sein wird.

 

Warum spreche ich das an?

Mir fiel immer wieder auf, dass in dem Kommentarspalten auch bei den Normalbürgern nicht verstanden wurde, wie sich Politiker einerseits extrem über andere Politiker auslassen und dann an anderer Stelle wieder Geschlossenheit zeigen können. Das ist genau der Punkt wo ich glaube, dass sowohl Alter als auch persönliche Reife ins Spiel kommen. Mit wachsender Lebenserfahrung und hormoneller Stabilität ist es viel normaler bestimmte Sachverhalte von Personen zu trennen – eben Sachverhalte differenziert zu betrachten. Was dazu kommt, ist, dass man hier auch verstehen muss, dass man den Politiker von der Privatperson trennen muss. Ganz nüchtern betrachtet ist Politiker ein Beruf. Und in diesem Beruf arbeitet ein Mensch der dort seine Arbeit verrichtet. Das muss unterm Strich nichts zu tun haben mit der Privatperson. Deshalb ist es auch möglich, dass Politiker der SPD mit Politikern der CDU privat befreundet sind und sich abseits der politischen Standpunkte sehr gut verstehen. Es geht uns Normalbürgern ja nicht anders: auch bei uns ist es so, dass nicht alle unsere Freunde politisch genauso denken wie wir selbst, sondern vergeben ihre Stimme nach eigener Facon.

Bei Kindern ist es oftmals so, dass sie sich mit ihren Freunden in einem bestimmten Punkt uneinig sind und unmittelbar dem anderen die Freundschaft kündigen – selbst wenn am nächsten Tag alles wieder gut ist. So sehr wir unsere Kinder als kleine Engel sehen wollen so sehr unperfekt sind sie doch auch. Sie polarisieren, teilen sich die Welt in Gut und Böse, und für mich oder gegen mich ein. Eine Herangehensweise, die genau betrachtet eigentlich fast ausschließlich emotional und kaum rational ist. Das Bild das junge Politiker oftmals abgeben ist nahezu identisch. Die Verhaltensmuster sind dem sehr ähnlich.

Ich möchte da gerne mal als jüngstes Beispiel Sarah-Lee Heinrich, die neue Bundessprecherin der Jugendorganisation der Grünen heranziehen, die sich zu Deutschland so äußerte, dass wir "eine eklige weisse Mehrheitsgesellschaft" wären. Ja, schon richtig, das Statement von ihr ist nicht aktuell, sondern schon zwei Jahre alt, aber auch da war sie bereits volljährig. Man kann also auch in diesem Alter, besonders wenn sie in der Riege der Erwachsenen ernstgenommen werden will, sie für ihre Aussagen vollumfänglich verantwortlich machen. Sie ist aktuell zwanzig Jahre alt und ein Distanzieren, bzw. in ihrem Falle nur Relativieren, ihrer Aussage reicht mir persönlich nicht aus um ihr soziale Reife zu attestieren. Ich verstehe ja, dass sie als 18-jährige Woman of Colour die Situation damals für sich so empfunden hat. Aber, dass sie in ihrer Wut nicht in der Lage ist, ihre private Meinung von ihrer öffentlichen Persona zu trennen und ein Statement zu geben, dass sie als Politikerin nicht wenige Jahre später bereuen muss, zeigt, wie unreif sie doch ist. Dazu müsste ich nicht mal ihren dahingestammelten Wortlaut bemühen um dies zu zeigen. Hierzu hat sich Elke Heidenreich bei Lanz völlig richtig geäußert: als ihr der Ausschnitt mit diesem Statement vorgespielt wurde, reagierte sie mit Entsetzen auf das Fehlen von Sprache bei Sarah-Lee Heinrich. Heidenreich ist eine Literarin, Schriftstellerin und Kabarettistin – eine Person die mit unserer Sprache feinsinnig spielen kann wie kaum eine Zweite – und sie bemängelt zurecht, dass bei Heinrich nicht ein gerade formulierter Satz zustande kam. Im politischen Geschäft, wo es oft auf Nuancen in der Formulierung ankommt, disqualifiziert sie sich damit vom Start weg. Um fair zu bleiben, es ist nicht zu Erwarten, dass die Sprache von Sarah-Lee Heinrich für immer so bleiben wird. Sie wird sicher reifen und auch an ihrer Rhetorik arbeiten. Aber, es muss die Frage erlaubt sein, ob sie zum jetzigen Zeitpunkt schon in der Politik schlaue Reden schwingen sollte, wenn sie nicht mal in der Lage ist, ihre Ansichten in klaren vollständigen Sätzen zu artikulieren. Ein jugendlich freches Statement macht noch keine schlüssige Argumentation!

 

Man bekommt heutzutage in der politischen Landschaft auch oft das Gefühl, dass nicht nur einzelne Personen sich zwischenmenschlich nicht mögen, sondern der politische Gegner kategorisch angefeindet wird. Im Gegensatz zur Generation Brandt, Wehner, Genscher, Schmidt, bedienen sich viele Politiker aktuell auch einer relativ jugendlichen Sprache um hip oder modern zu wirken. Mit diesem Jargon hält aber auch viel jugendliche Emotion einzug, die an dieser Stelle nicht nur unangebracht, sondern eben auch kontraproduktiv ist. Aber auch das trifft eher wieder auf die ganz jungen Politikneulinge zu. An anderer Stelle ist dann im Gegenzug Mancher irritert davon, wenn sich Profis wie Klingbeil und Ziemiak versehentlich bei Lanz duzen, weil sie es vermutlich so gewohnt sind wenn die Kameras aus sind. Denn sie sind einfach nur Kontrahenten bei politischen Themen und keine generellen Erzfeinde. Aber es scheint, dass der Bürger als politischer Beobachter diese Feindschaft erwartet die der Politker so nicht liefern will und auch nicht sollte. Gegipfelt ist dieses Vermischen von Öffentlicher Persona und Privatperson bei Walter Lübke. Er wurde wegen seiner politischen Positionen von einem Rechtsextremen erschossen. Was der Attentäter dabei ausgeblendet hat, ist, dass abseits aller politischer Ansichten und Verantwortungen in seinem Beruf, er nach Dienstschluss sicherlich ein liebender Vater, Ehemann und guter verlässlicher Freund war. Es wäre somit lediglich angemessen gewesen mit ihm nach allen Regeln des Rechtstaates zu streiten, z. B. in einem Parlament oder in einer innerparteilichen Auseinandersetzung. Erschiesst man die Person aber, erschiesst man auch die Privatperson und den Menschen.

 

Somit ist klar, in die Politik gehören nur Menschen die diese Trennung in ihrem Kopf verschaltet bekommen. Es ist wichtig, dass Politiker die entsprechende Reife haben Sachverhalte nüchtern und emotionslos zu betrachten. Nur dann ist gewährleistet, dass ein Problem von allen Seiten völlig unbefangen und objektiv beleuchtet wurde, anstatt seinem persönlichen Ärger mit Scheuklappen und aufgedrehter Hormondosis Luft zu machen. Das sehe ich bei vielen jungen Politikern leider viel zu häufig, und danach sehe ich sie reumütig zurückrudern.

 

Alte weisse Männer müssen nicht zwangsläufig eklig sein. Das ist nur der Fall wenn man ihnen genauso pauschal und engstirnig entgegen tritt, wie man es ihnen bzgl. Frauen, Homosexuellen, Migranten usw. unterstellt. Somit sage ich jedem jungen Politiker: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeissen, denn ganz schnell ist man selbst auch ziemlich eklig!

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