Versäumnisse? Klar, aber auch bei uns!

Die Suche nach einem Schuldigen für die 4. Welle in der Corona-Pandemie geht munter weiter. Es scheint aktuell so zu sein, dass sich die Mehrheit Jens Spahn und das RKI als Sündenbock ausgesucht hat. Aber gibt es jemanden der sich ehrlicherweise auch an die eigene Nase fasst? Ich sehe da niemanden.

 

Es ist ja aktuell die populäre Meinung, dass die Politik die 4. Welle verschlafen hätte. Wie immer macht man unsere Volksvertreter im Vorbeigehen schnell zum Universalschuldigen und lädt die Verantwortung für alle Fehlentwicklungen dort ab. Mit einer objektiven Einschätzung hat das meiner Meinung nach nicht viel zu tun. Natürlich kann man alles was man möchte behaupten. Die Frage ist, was man von solchen Behauptungen auch dauerhaft belegen kann. Natürlich falle auch ich beim ersten Blick auf die reisserischen Headlines immer wieder darauf herein, dass so manche Überschrift in aller erster Linie "triggern" soll. Nimmt man sich aber die Zeit und schaut sich die dazugehörigen Pressekonferenzen in voller Länge an, stellt man fest, dass viele Journalisten sich mit ihren Artikeln vielleicht doch mehr Zeit lassen sollten. Es drängt sich nämlich der Verdacht auf, dass nach Erlangung einer Information bis zur Veröffentlichung mancher Beiträge extrem wenig Zeit vergeht, oder vielleicht vergehen darf. Da will natürlich jedes Medienhaus das erste sein, was diese Information in die Welt getragen hat.

 

Aktuell wird dem Gesundheitsministerium vorgeworfen, die Gefahren einer 4. Welle unterschätzt und die Pandemische Lage von nationaler Tragweite zu früh aufgehoben zu haben. Bei diesem Vorgehen soll speziell Jens Spahn die Bedrohungslage massiv unterschätzt haben. Die Frage ist, ist das wirklich so? Ich denke nicht.

 

Man drehe die Uhr mal 4-5 Monate zurück und erinnere sich bitte an die Berichterstattung im TV und in den Printmedien. Die 3. Welle war gerade abgeebbt, das Wetter wurde wärmer, wir gingen alle nach draußen und haben die entspanntere Coronalage genossen. Aber was haben wir denn zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die Pandemie noch gehört? Wenn wir ehrlich sind, wurde der Sendeplatz der bislang für die täglichen Zahlen des RKI genutzt wurde plötzlich mit Hochrechnungen bezüglich der Wählerstimmung oder mit Beliebtheitswerten bespielt. Wer darauf hoffte, wie vorher, die aktuellen Coronazahlen im Stundentakt erfahren zu können, der wurde bitter enttäuscht. Auch auf Nachrichten-Websites waren die Top-Themen eher Artikel und Meinungen über Plagiatsvorwürfe, unangebrachte Lacher oder Querschüsse gegen Armin Laschet, z. B. aus Bayern. Was auch einen erheblichen Raum in den Medien einnahm war das Hochwasser im Ahrtal. Da standen die Korrespondenten plötzlich mit Gummistiefeln zwischen Trümmern anstatt vor dem RKI. Live-übertragene Pressekonferenzen, waren plötzlich zum Thema Hochwasser und nicht mehr die Pandemie. Man sah Kanzlertrielle, Talks mit den einzelnen Kandidaten, Polit-Talk mit Experten zum Thema Wahlen oder Portraits der Kandidaten. Man holte sogar Julius van de Laar regelmäßig ins TV und selbst bei Markus Lanz, der stets das Thema Corona bespielte, ließ man lieber Klingbeil und Ziemiak aufeinander los. Selbst eine Doku über Kevin Kühnert, die zeigte wie er Walter-Borjans und Esken in Bezug auf ihre Medienwirksamkeit coachte, war wichtiger und interessanter als Corona. Man hätte fast schon Karl Lauterbach vermisst. Und wenn wir ganz ehrlich sind: wir alle waren das Thema Corona mehr als leid, und somit waren wir alle irgendwie dankbar, dass Baerbock geschummelt, Laschet gelacht und Söder gestänkert hatte. So gab es für uns alle mal etwas Erfrischenderes als diesen ständigen Coroana Alarmismus. Diese "neue" Art von Themen gab uns allen gemeinschaftlich das Gefühl die Pandemie wäre vorbei. Die verschwindend geringen Berichte über Corona die noch veröffentlich wurden, die haben wir Bürger auch gerne übersehen, weil wir der Meinung, dass wir an der geringen Menge an Berichten über die Pandemie ablesen könnten, dass dieses Thema einfach an Relevanz verloren hätte. Selbst wenn in den selben Medien in Fußnoten Jens Spahn zur Vorsicht gemahnt hätte – was er im Übrigen wirklich tat – wer von uns hätte sich dies deutlich ins Bewusstsein gerufen? Die Medien waren offensichtlich mit Corona fertig, warum sollten wir Bürger es nicht auch sein? Letztendlich war das was in Sommer und Herbst passiert ist stinknormales menschliches Verhalten. Doch möchte nach dieser Erkenntnis noch jemand ernsthaft behaupten, dass nur die Politik an allem Schuld ist und die Medien daran keinen Anteil hätten?

 

Die Medien springen, jetzt wo die Zahlen auf Rekordhöhe sind, natürlich wieder auf den Zug auf, aber das macht die Qualität der Berichterstattung nicht besser. Wenn von der Presse Spahns Zurückhalten von Bion-Tech Impfstoffen als Skandal hochgespielt wird, nimmt man in Kauf die Bevölkerung zu verunsichern und die Impfkampagne zu schwächen. Hört man sich hingegen die Pressekonferenz von Jens Spahn in voller Länge an, erfährt man durchaus genau warum man nicht den gelagerten Moderna-Impfstoff spenden will, sondern den von Bion-Tech. Es ist nämlich so, dass es für die Weitergabe der bereits gekauften Impfstoffe auch vertragliche Regelungen mit den Herstellern gibt. Diese hat man festgelegt, damit durch einzelne Länder, über eventuell dubiose Weitergabe von Impfstoffen, kein Schwarzmarkt entstehen kann. Die Verhandlungen über diese Regelung war mit dem Hersteller Moderna erst spät zustande gekommen, weshalb man sich entschied zuerst den Bion-Tech Impfstoff zu spenden, da hier die Regelungen schon vorlagen. Es bringt also niemandem etwas, wenn man jede noch so kleine Nachricht in die Welt hinaus posaunt, wenn man dabei wichtige Information einfach übersieht und damit in den Köpfen der Bürger Fehlinformationen zu "Fakten" macht. Gerade das ist es doch was die Impfstoffe in hohem Maße diskreditiert und den Impfgegnern überhaupt erst den Nährboden geliefert hat. Und machen wir uns nichts vor: Wenn die Medien sich nur auf die Headlines konzentrieren und versuchen sich mit reisserischen Überschriften gegenseitig zu überbieten, ohne den richtigen Kontext zu liefern, dann kann man sich sicher sein, dass dubiose Kanäle oder Websites keine Sekunde zögern dem Bürger ihre kruden "Fakten" als Erklärung zu liefern. Und leider gibt es genügend Menschen die leichtgläubig sind und die Unwahrheit darin nicht erkennen können.

 

Den Schuh, dass wir die 4. Welle ignoriert haben, den müssen wir uns alle im Kollektiv anziehen. Dies jetzt nur auf die komissarisch arbeitende Regierung und die kommende Ampel zu schieben ist billig und zeigt wie sehr wir alle uns der Realität verweigern. Wir alle wollten, dass Corona vorbei ist und haben uns dabei einfach verzettelt. Dass dabei auf dem Weg kapitale Fehler gemacht wurden ist keine Frage, aber nicht alles was von der Presse als Fehler erzählt wurde, war defacto auch des Übels Ursprung. Ich kreide den Medien und der Politik auch nicht an Fehler gemacht zu haben – errare humaum est. Was mich ärgert ist, dass die Medien beim Thema Verantwortung nie sich selbst in Spiel bringen um kritisch mit ihrer eigenen Rolle umzugehen. Aber wenn Worte wie "Mohr" verletzen, das generische Maskulinum diskriminiert, dann ist Berichterstattung nicht nur eine Ansammlung von Buchstaben und Worten, sondern kann auch bei unsachgemäßer Anwendung erheblichen Schaden anrichten. Aber für die Verantortung sind immer Regierung und Wissenschaft zuständig. Was die letzten zwei Jahre deutlich gezeigt haben, ist, dass im Nachgang aus dem eigenen Verhalten keine folgerichtigen Schlüsse gezogen wurden.

 

Wir machen einfach die gleichen Fehler wieder und wieder...

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